Zur Methodologie von DokuMet QDA

  

Dokumentarische Methode: Die Software ist orientiert an der Dokumentarischen Methode, wie sie in den letzten 30 Jahren maßgeblich von Ralf Bohnsack entwickelt wurde. Das Grundprinzip dieser praxeologischen Methodologie, die Trennung in eine Formulierende und eine Reflektierende Interpretation zieht sich bei allen methodischen Zugriffen durch. Es geht immer darum, zunächst in der formulierenden Interpretation aufzuzeigen, „WAS“ thematisch wird (in Interviews und Gruppendiskussionen) oder sich zeigt (in Bildern, Dokumenten oder teilnehmend beobachteter Handlungspraxis). Im Schritt der Reflektierenden Interpretation geht es dann darum herauszuarbeiten, „WIE“ etwas thematisch wird oder sich zeigt. Leitende Frage ist hier: Vor dem Hintergrund welchen übergreifenden oft impliziten Handlungs- oder Orientierungsrahmens macht eine einzelne Äußerung, eine Handlung, ein Bild oder ein Dokument Sinn, wofür ist sie also ein Dokument?

Zum Weiterlesen:
Schäffer: Dokumentarische Methode
Schäffer: Gruppendiskussionsverfahren und Focus Groups

Methodologie einer Software? Nach unserer Auffassung ist jeder Software implizit eine Methodologie und auf jeden Fall eine Methodenpräferenz eingeschrieben. Bei Konkurrenzprodukten wie MaxQDA, AtlasTi oder Nvivo steht hierbei ganz eindeutig die Inhaltsanalyse im Fokus, wenngleich deren Entwickler die „Methodenneutralität“ der Software betonen. DokuMet QDA dagegen orientiert sich explizit an der Methodologie der Dokumentarischen Methode und ermöglicht den Nutzenden ein sequenzielles, sinnrekonstruktives Arbeiten, bei dem das Material nicht kodiert, sondern zunächst in seiner Eigenlogik erschlossen wird. Im weiteren Prozess der Softwareentwicklung zeigte sich, dass die Typenbildung mittels komparativer Analyse mit den Mitteln der Software weitaus differenzierter als bisher konzipiert werden kann. Von diesen Variationsmöglichkeiten der Software, die den Interpretierenden verschiedene Möglichkeiten der Perspektivierung des Materials anbietet, wurden wir als Entwickler selbst überrascht. Von daher ist zu erwarten, dass Typologien, die mit DokuMet QDA entwickelt werden, weitaus komplexer und mehrdimensionaler angelegt sein werden, als herkömmliche „paper und pencil Typologien“, die allein schon aus Gründen der Übersicht einfacher gehalten werden müssen.

Zum Weiterlesen:
Schäffer, Klinge, Kramer: DokuMet QDA: Softwarevermitteltes Forschen, Lehren und Lernen mit der Dokumentarischen Methode

Formulierende, Reflektierende und Zusammenfassende Interpretation: Die Software bietet im Grundmodus drei verschieden Ansichten an: Formulierende, Reflektierende und Zusammenfassende Interpretation. Bei der Ansicht der Formulierenden Interpretation rekonstruieren Sie, WAS bei den Interviews und Gruppendiskussionen gesagt wurde oder in den Bildern und Dokumenten zu sehen ist. Es geht also um die thematische oder strukturelle Gliederung Ihres Materials. Bei der Ansicht der Reflektierenden Interpretation richten Sie Ihr Augenmerk dann darauf, WIE die Themen bearbeitet werden. Vor welchem Hintergrund bzw. Rahmen entfalten die Interviewten oder Teilnehmer*innen einer Gruppendiskussion ihre Orientierungen? Wie ist ein Bild oder Dokument aufgebaut und was dokumentiert sich darin? Wie ist die beobachtete Handlungspraxis eingebettet in größere Handlungskontexte und im Vergleich zu anderen Handlungspraxen? Nach einer Reflektierenden Interpretation können Sie mit DokuMet QDA in einer weiteren Ansicht zentrale Interpretationsergebnisse der Analyse einzelner Passagen, von verschiedenen Bildern oder von unterschiedlichen Beobachtungen oder Dokumenten zusammenfassen. Auch ist die Möglichkeit gegeben, weitere fallspezifische Verdichtungen vorzunehmen.

Typenbildende Interpretation und Triangulation: DokuMet QDA unterstützt aktiv den Prozess der Typenbildung, indem schon bei der Reflektierenden Interpretation Ideen für die Typenbildung in einem Extraformat, den „sinn- und soziogenetischen Aspekten“, gesammelt werden. Im mehrstufigen „Typengenerator“ können Sie dann auf Basis dieser Aspekte Typen, Typiken und Typologien verdichten und mit diesen Materialien weiterarbeiten – z.B. eine relationale Typenbildung nach Nohl durchführen. Dadurch, dass bei der Reflektierenden Interpretation die Möglichkeit der Vergabe der Aspekte bei jeder Datenart (also Interviews, Gruppendiskussionen, Bildern, Beobachtungsprotokollen, Dokumenten) gewährleistet ist, stellt der Typengenerator gleichzeitig ein mächtiges Instrument der Triangulation dar. Sie können also z.B. Daten aus einer Gruppendiskussion mit Interviewpassagen und einer Dokumentenanalyse oder mit einer Ethnografischen Beobachtung kombinieren.

Zum Weiterlesen:
Schäffer: Typenbildende Interpretation
Schäffer: Typologien als Endprodukt von Prozessen Typenbildender Interpretation

DokuMet QDA - Eine Software für das Lehren und Forschen mit der Dokumentarischen Methode

Dokumet ODA ist eine Software zur Unterstützung von Lehre und Forschung mit qualitativen Forschungsmethoden im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften (QDA= Qualitative Data Analysis). Die Software wurde speziell für die „Dokumentarische Methode der Interpretation“ programmiert. Diese ursprünglich von Prof. Ralf Bohnsack am Arbeitsbereich qualitative Bildungsforschung der FU Berlin entwickelte Methodologie ist in verschiedensten Disziplinen über einschlägige Lehrbücher und vielfältige Forschungsaktivitäten etabliert, wird derzeit an über 40 Lehrstühlen im In- und Ausland gelehrt  und stark in Weiterbildungskontexten nachgefragt .

Für die Auswertung wurden bislang im Wesentlichen paper and pencil bzw. normale Textverarbeitungs- und Tabellenkalkulationssoftware benutzt . Gerade bei größeren Forschungsvorhaben stößt diese Vorgehensweise jedoch schnell an Grenzen: Forschende verlieren den Überblick und fokussieren deshalb notgedrungen auf eine kleinere Auswahl von Fällen. Die Entwicklung einer Forschungs- und Lehrsoftware für die Dokumentarische Methode war insofern ein logischer und überfälliger Schritt, da am Markt vorhandene Software  für das Arbeiten mit der recht anspruchsvollen Methodologie der Dokumentarischen Methode nur sehr eingeschränkt geeignet ist. Mit DokuMet QDA dagegen lassen sich unterschiedliche empirische Materialsorten  lege artis strukturiert auswerten, ohne den Überblick zu verlieren. Das Programm führt den Interpretierenden über systematische und leicht erlernbare Verdichtungsschritte bis hin zur Bildung von Typen, Typiken und Typologien. Die Auswertungsschritte sind für Novizen gut nachvollziehbar, weshalb die Software auch und gerade in der Lehre sozialwissenschaftlicher Methoden eingesetzt werden kann.

Die Besonderheit von DokuMet QDA im Vergleich zu herkömmlichen QDA-Programmen

Sinnzusammenhänge typisieren, nicht bruchstückhaft dekontextualisieren!

Bereits am Markt befindliche QDA Programme wie MaxQDA, Atlas ti oder NVivo sind, auch wenn sie z.T. ihre „Methodenoffenheit“ betonen, mehr oder weniger explizit an der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse orientiert: Das empirische Material wird nach einem vorab vorgegebenen „Kodierschema“ mit Stichworten versehen („kodiert“), um dann z.B. bei einer Interviewstudie gleich kodierte Textstellen aus unterschiedlichen Interviews miteinander zu vergleichen (etwa alle Stellen, die mit dem Kode „Gewalt in der Familie“ kodiert wurden). Dies ist aus Sicht der Methodologie der Dokumentarischen Methode nicht valide, da hiermit eine Dekontextualisierung des Materials einhergeht, denn in einem Interview sind den meisten Textstellen andere Sequenzen vorgelagert, die erst zu einem adäquaten Verständnis dieser einen Stelle beitragen.

Bei DokuMet QDA dagegen ist die Software so programmiert, dass das Material in seinem sequenziellen Aufbau rekonstruiert und folgende Fragen beantwortet werden können: Wie, d.h. in welchem Kontext kommt es dazu, dass jemand über „Gewalt in der Familie“ spricht? Wie baut sich ein entsprechender Sinnzusammenhang während des Erzählvorganges auf, der mit den Sinnbruchstücken, die man mit herkömmlichen QDA Programmen erzeugt, wenig gemein hat? DokuMet QDA ermöglicht die Rekonstruktion solcher Sinnzusammenhänge vor dem Hintergrund einer systematischen Vergleichshorizontbildung mit Sinnzusammenhängen anderer Fälle. Auf diese Weise führt DokuMet QDA den/die Nutzer/in über methodisch kontrollierte Verdichtungsschritte zu typisierbaren Ergebnissen, die einerseits in Fällen verankert sind und andererseits im Sinne einer analytischen Abstraktion weit über diese hinausweisen.

Dokumentarische Methode und Künstliche Intelligenz

Auf dem Gebiet der Sprachverarbeitung mittels künstlicher Intelligenz (KI), dem Natural Language Processing (NLP) werden in jüngster Zeit große Fortschritte gemacht. Hierbei stehen insbesondere sog. General Pretrained Transformer (GPT) Modelle im Fokus. Das sind Sprachmodelle, die mit Machine Learning auf Basis extrem großer Datenmengen (z.B. die gesamte Wikipedia) vortrainiert werden. Diese Modelle sind bereits jetzt in der Lage, beliebige Anfragen von Nutzenden ohne ein spezielles Training zu beantworten und z.T. sehr komplexe Aufgaben eigenständig auszuführen.

Im von DTEC geförderten KISOFT Projekt an der UniBW in München wird untersucht, inwiefern sich solche Modelle eignen, das Interpretieren mit der Dokumentarischen Methode zu unterstützen. Diese Unterstützung kann dadurch erfolgen, dass z.B. Passagen eines Interviews oder einer Gruppendiskussion von der KI ‚vorinterpretiert‘ werden. Hierzu wird der KI in dem Projekt mittels sog. finetuning auf der Basis einer größeren Zahl von menschlichen Interpretationen vermittelt, wie das Interpretieren nach den Grundsätzen der Dokumentarischen Methode vonstattengeht (z.B. die Trennung von Formulierender und Reflektierender Interpretation). Es ist geplant und auch schon sehr weit fortgeschritten, in DokuMet QDA eine KI Abfrage zu implementieren, mittels derer sich die Interpretierenden während ihrer Interpretationsarbeit Anregungen für die Analyse ihrer Materialien einholen können, gewissermaßen analog zu einer Forschungswerkstatt, nur dass hier die Vorschläge nicht von Kolleg*innen, sondern von der KI kommen.

Zum Weiterlesen: